Solche Aussagen bekommt man, wenn man erzählt, wo man seinen Sommerurlaub verbringen möchte.
Und dann noch mit Kanu, fern der Zivilisation. Gut, die gibt’s dort sowieso nicht. Und dann noch bei den Russen, dort gibt es Bären und noch viel Schlimmeres. Schließlich war es nach dem zweiten Weltkrieg DER Ort für deutsche Kriegsgefangene.
Aber, der Krieg ist lange vorbei, Sibirien unglaublich groß, es erstreckt sich von weit nördlich des Polarkreises bis weit in den Süden, etwa auf Höhe Mitteleuropas. Genau dort ist unser Ziel, die Temperaturen entsprechend sommerlich warm. Wir das ist Jesko Rieger und ich und zur Überraschung hat auch der Präsi Michael Motz den Trip in die Sayan Mountains zum Kitoy gebucht.
Das Wildwasser ist ansprechend und die Tour ist komplett vorbereitet mit Guides und Transfer gebucht, einfacher geht’s nicht. Okay, man braucht ein Visum, das klappt aber, die netten Damen im Visa Zentrum sind nicht nur hübsch, sie sind auch nett und hilfsbereit, das klappt. Der Flug ist günstig, es sei denn, man nimmt sein Boot mit und ist etwas flapsig beim Buchen, dann wird’s teuer. Wir hatten über eine Agentur gebucht, da ging das Boot hin und zurück für 100€. Aber Vorsicht, unsere Norweger und Amerikaner hatten da andere Erfahrungen, die darin resultierten, dass das Boot vor Ort zu verschenken eine billigere Alterative darstellt als wieder mit nach Hause zu nehmen.
Wir haben bei Two Blades Adventures gebucht, ein Unternehmen von Tomass Marnics, bei dem Egor Voskoboynikov und Alona Buslaieva, unsere beiden Tourguides, mitwirken. Die Anreise über Moskau lehrt gleich, das deutsches Bier teuer und grausig ist, besser man nimmt das Russische, das ist tatsächlich schmackhaft und bezahlbar.
Die Einreise ist unproblematisch und irgendwann stehen wir in Irkutsk am Flughafen, mit kompletter Ausrüstung und werden bereits von Egor empfangen.
Am nächsten Morgen wird zeitig aufgestanden, unsere Fahrer sind da. Ein LKW nimmt Boote und Teile der Ausrüstung, der andere die Passagiere und los geht’s. Aus Irkutsk raus, irgendwelche Straßen, Pässe, am Baikalsee vorbei und ab ins Landesinnere. Nicht ohne Supermarktstopp, wobei niemandem klar ist, wieviel Essen dabei ist, Gerüchte machen sich breit über halb verhungerte Teilnehmer früherer Touren.
Panikkäufe, die dann doch auf Alkohol konzentriert wurden. Einige Liter Wodka wandern ins Handgepäck. Auch Bier, hier zeigt sich wieder, das deutsche ist katastrophal. Weiterfahrt, die Straße wird kleiner, die Häuser seltener, die Berge mehr. Ein Grenzposten, bei dem Egor sehr ernst wird, Passkontrolle, weiter geht’s auf Schotterstraße. Mittagessen in einem Restaurant, das von außen gar nicht den Eindruck machte. Kulinarisches Highlight waren die Fleisch gefüllten Maultaschen, Pelmeni – sensationell! Im Auto ist gute Stimmung, wir lernen uns kennen, 4 Amerikaner, 3 Deutsche, 2 Norweger, 3 Russen, mehr oder weniger angetrunken. Weiter bis die Straße endet, der Einstieg. Ein kleines Rinnsal liegt vor uns, es ist schon spät, es bleibt noch knapp 3 Stunden hell. Alles in die Boote, irgendwie und los geht’s, die Autos verschwinden am Horizont, kein Weg zurück. Mehr stochern als Paddeln, Wildwasser auf obere Isar Niveau, wenn überhaupt, es dunkelt. Und schon ist Camp Site, also ein Fleck, den man früher schon als Camp benutzt hat. Sonst ist hier niemand. Camp aufbauen, Feuer machen, kochen. Routine für die nächsten 9 Tage. Vorneweg, das Essen war stets gut und ausreichend, es ist nicht zum fett werden, eher zum Überleben und Kräfte sammeln. Jeder hatte seinen Vorrat an Schokolade und Riegeln, alles ausreichend, selbst der Alkohol.
Tag zwei war eine Herausforderung, das Rinnsal weitete sein Bett ordentlich aus, so waren die Treidelfähigkeiten gefragt. Aber nur für 2 Stunden, dann konnte bereits erstes Wildwasser gepaddelt werden. Erste Stellen, unschwierig, aber sorgt für Kurzweil, Das Wetter ist herrlich.
Tag drei weckt uns mit Gewitter und Regen, egal. Dafür kommt die erste Schlüsselstelle, nur Derek unser irischer Norweger stürzt sich hinunter, selbst Egor ist diese Suspekt. Es folgt Genusswildwasser aus dem Bilderbuch und Menschen, Rafter stehen am Ufer und winken uns zu, Russen. Es hat den ganzen Tag geregnet, das Camp ist feucht, aber dank Vorbereitung mit Bear Grills Schulungsvideos brennt rasch ein Feuer und das Gruppentarp steht ideal. Am nächsten Morgen hat der Fluss ordentlich zugelegt. Wuchtwasser, endlich. Kurz nach dem Camp schon die erste Stelle, die Michael und ich im Übermut nochmals hochtragen um eine Walze mittig zu nehmen. In der Annahme, das schwere Boot haut es da locker durch, motiviert Michael mit -Du weißt, kneifen ist jetzt nicht- nochmals und es geht an der Gruppe vorbei in die -größer als gedachte- Waschmaschine. Aber Michael und ich bleiben sitzen. Das weitere Wildwasser macht nur noch Spaß, es ist groß, wuchtig, die Sonne kommt wieder raus, dafür hab ich bezahlt.
Dann kommt nach einer Ecke die große Schlucht, zu viel Wasser, indiskutabel, meint Egor. Ab der Mitte kann man einbooten, wir umtragen. Auf Trampelpfaden, die nicht wirklich eindeutig sind, geht’s mit Gepäck und Boot durch den Wald. Das Boot wird unterwegs deponiert, das Camp ist hoch über dem Fluss an der Mündung des Eche Gol mit Sicht auf den bekannten Wasserfall, Landschaftssechser. Morgens bringen wir unser Equipment zum Fluss hinunter, laufen zurück zu den Booten, seilen und steigen ab und besichtigen die Schlucht. Der Pegel ging zurück, aber dennoch nicht weit genug für eine Befahrung des Klammeingangs. Also hier einsteigen und das traumhafte Wildwasser genießen. Wir bekommen Instruktionen, wo wir besser nicht hinfahren sollten und es bleibt immer frei zu umtragen. Aber es wird Wert daraufgelegt, schnell zu entscheiden, es liegt viel vor uns. Stelle für Stelle wird erarbeitet, man gewöhnt sich daran, ich lege manche Route anders als Egor vorschlägt, es klappt alles. Abends Camp an der Mündung des Biluti. Morgen ist Paddelpause, es wird nur gewandert. Zuvor Angeln im Biluti, ich als absoluter Angelneuling hol drei Fische raus, die so groß sind wie, naja, meine Hand.
Die Wanderung mit kompletten Equipment durch den Wald ist eine wahre Freude. Es ist heiß, das Boot ist schwer -ich hab noch einen Liter Wodka geladen- und der Weg ist eigentlich keiner. Wir verlaufen uns, die Gruppe versprengt ein wenig, es ist heiß. Kann man nicht oft genug erwähnen. Aus jedem Rinnsal wird getrunken, Wasserfilter im Dauereinsatz. Mittagspause in einem Bachbett, dann endlich eine Schlucht vor uns, die Traverse vor dem Camp. Es wird eine Seilbahn mit Wurfsäcken gebaut und ich werde nervös. Ich werde mich da nicht rüber ziehen lassen. Aber es ist nur für Boote und Ausrüstung, wir umklettern das Ganze mit einer Holzeiter, die hat da irgendwer gebaut. Im Camp gibt es große Löcher an den Bäumen. Bären waren das, aber keine Sorge, die sind zu der Zeit schon vollgefressen, na dann: Gute Nacht. Nächster Tag geht der Hike weiter, mit reduziertem Gepäck. Weil ein paar sehr motiviert sind und ein paar nicht so fit, versprengt sich die Gruppe schon kurz nach dem Camp und ein Teil ist am rechten Ufer, der andere am linke auf dem Weg zum Einstieg. Wir lernen russische Zeitrechnung, was also 20 Minuten sind und einiges mehr. Es folgt eine Meuterei, clevererweise schließen wir uns der Gruppe mit der Verpflegung an. Wir hinterlassen eine Nachricht mit den vorhandenen Mitteln und befahren den Biluti auf eigene Faust mit der Feststellung, da wo es interessant wird, wird’s unfahrbar. Und schon wieder Camp. Ein Tag Hiking in der Hitze Sibiriens und Paddeln auf einer unteren Venter im Herbst. Wären wir lieber mit den Mädels im Camp nackt baden gegangen. Macht nichts, wir haben Abenteuer fern der Komfortzone gebucht. Tags darauf wird am Biluti über den Wasserfall diskutiert, heute im Regen, drei wagen eine Befahrung, ein Paddel bricht. Den Must Run muss jeder, den Doppeldrop diskutiert jeder, und dann trägt auch den jeder über steiles Gelände. Wobei eine Befahrung im Nachhinein wahrscheinlich weniger riskant gewesen wäre. Biluti Ausfahrt wunderschön auf glasklarem Wasser, Trinkwasser, mit Fischen drin, Wildwasser in einer tiefen Schlucht, unglaublich.
Es geht flott bis zur Mündung in den Kitoy, dann wieder auf Wuchtwasser das sich ganz langsam beruhigt weiter. Jesko und ich spielen uns noch durch, auch wenn heute noch einige Kilometer anstehen, egal. Es ist ohnehin regnerisch und kühl, da ist Sport genau das richtige. Wir erreichen die ersten Häuser, Gerüchte eines kleinen Ladens gehen herum, es wird Gedanklich Bier und Chips gekauft, jedoch ist niemand da und es gibt nichts. Nur zwei bellende Hunde. Nach 45km Paddeln erkunden wir ein Camp, aber die Nähe einer Hütte beunruhigt Egor, so geht’s nochmals 10km weiter, dann endlich Camp, Reste essen, ordentlich Feuer machen.
Der nächste Tag wird ein langer werden, wieviel genau vor uns liegt, ist nicht bekannt. Einzige Angabe ist „bis zur Brücke, da links raus“ Gut, erste Brücke? Es kommt nur eine, die Golden Gate vom Kitoy, etwa 5 oder 6 Stunden. Ein letztes Mal abbauen, verstauen und los geht’s. Der Fluss ist groß, breit und richtig schnell. Man muss nur die Orientierung behalten, denn er wird manchmal einen Kilometer breit mit unzähligen Kiesinseln. Immer Hauptströmung suchen, Riegel essen, tauschen, PowerBar gegen Snickers, Wasser filtern und Paddeln. Irgendwann taucht sie auf, wie aus dem nichts, nach nur 66km, die Golden Gate Bridge vom Kitoy, eine Hängebrücke in Rot über den Fluss. Nicht für Autos, maximal Zweiräder. Und unsere Fahrer, wie schön! Und noch schöner, ein Dorf. Wo ein Dorf, da Menschen, da ein Laden. Anlegen, umziehen, auf Dolmetscher warten und los geht’s. Nach hin und her endlich Bier und Chips! Großeinkauf. Alles in die Autos und zurück in die Zivilisation. Duschen und Essen gehen. Bedienung, bestellen, Kreditkarte, klasse. Unsere Amerikaner verlassen uns in der Nacht, wir Europäer haben noch einen Tag, erkunden Irkutsk, kaufen Souvenirs und gehen mit unseren Guides nochmal ordentlich zum Essen. Am nächsten Tag holt uns ein Taxi und liefert uns am Flughafen ab, nicht ohne uns über den Tisch zu ziehen, aber es kann auch keiner Russisch also erübrigt sich die Diskussion.
Insgesamt war es ein Trip, der mich sehr begeistert hat, von der ersten Idee vor Jahren bis heute. Es waren tolle Leute in der Gruppe, trotz der neun Tage immer zusammen war es sehr harmonisch, selbst der Abstecher zum Biluti, der in der Hitze eine echte Quälerei war -es heißt im Frühtau zu Berge, nicht zur Mittagshitz- war ein Erlebnis. Unsere Guides waren Top, es hat alles perfekt geklappt, das Essen war abwechslungsreich und gut, was in Anbetracht der Umstände gesehen werden muss. Wir konnten uns selbst entfalten, bekamen nur Tipps zum Leben im Sibirischen Wald, nie Anordnungen oder Regeln. Aber dafür läuft es auch russisch ab, die Informationen sind aufs nötigste beschränkt, aber absolut ausreichend. Und die Devise „i first, you follow“ hab ich gar nicht wirklich gehört. Nach all den mündlichen Berichten und Erzählungen hab ich nun selbst ein Bild und weiß auch, was man mitnehmen muss und was nicht. Mein bewusst mitgenommener Sinnloser Gegenstand war eine Wasserspritze, viele fragende Gesichter hat sie verursacht, welcher Idiot nimmt schon sowas mit, wenns auf jedes Gramm zu schleppen ankommt? Ich.
Zuletzt, würde ich den Trip wieder machen? Aber absolut, sofort. Jeden Cent wert, gerne wieder mit der gleichen Gruppe.
Uwe Eichfelder
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